
Gut Oberhof in Bad Tölz
Gut Oberhof in Bad Tölz, Landhaus für Heinrich und Luise Roeckl (1903) und Franz Gabriel und
Betti Roeckl (2018)
„Einem Gebilde wie einem Wohnhaus wohnt ein geistiger Wert inne – ein Wohnhaus ist ein Organismus, dessen Wesenheit in der Intelligenz und der künstlerischen Empfindung liegt, die sein geistiger Schöpfer darin niedergelegt hat."
Hermann Muthesius in: Landhaus und Garten, 1910
[Abb.] Landhaus Roeckl nach der Fertigstellung, östliche Eingangsfassade, um 1903
Bildquelle: privat
Von 2015 bis 2018 wird das in den 1960-iger Jahren abgebrochene Landhaus des Kommerzienrates und Handschuhfabrikanten Heinrich Roeckl (1867 - 1950) und seiner Frau Luise (1874-1958) nach historischen Bauplänen des Münchner Architekten Gabriel von Seidl (1848 -1913) am nordöstlichen Ortsrand von Bad Tölz rekonstruiert und wieder aufgebaut. Seidl hatte sich am Tölzer Wackersberg ein eigenes Landhaus errichtet und die Ortsverschönerung in Tölz um die Jahrhundertwende initiiert. Heinrich Roeckl war sein Neffe, Sohn seiner ältesten Schwester Theresia Franziska Seidl (1843-1925).
Das ursprünglich 1903 errichtete Landhaus im Heimatstil lag landschaftsgebunden gebaut mit Ausblicken auf die Gebirgszüge des Karwendels und die Tölzer Hausberge in einer großzügigen Parkanlage mit einer Lindenallee, Nebengebäuden und einer Kegelbahn. Namensgebend für das auch landwirtschaftlich genutzte Areal war der Oberhof. Typisch für die Zeit der Lebensreform um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jhd. wurde das Haus in die umgebende Landschaftskulisse eingebettet und der Grundriss von innen nach außen entwickelt.
Im Fokus des Gesamtkunstwerkes (Landschaftskulisse, Garten, Haus, Innenausstattung) lag der innige Bezug zur Natur. An den allansichtigen Fassaden bewusst schlicht und den regionalen Bauformen angepasst, lag die Konzentration auf den „inneren Werten“: Elaborierte Handwerkskunst bei der Innenausstattung, höchste Qualität bei den Baumaterialien und individuelle Form- und Farbgebung jeden einzelnen Raumes waren die Prinzipien des Landhauses.
Das Landhaus Roeckl war um die Jahrhundertwende Treffpunkt geselligen Lebens von Münchner und Tölzer Künstlern, Familie und Verwandten. Illustre Künstler wie Franz von Lenbach, Mitglieder der Künstlervereinigung Allotria, die Maler Julius Diez, Emil Keyser und Adolf Hengeler, aus der Familie der Architekt Emanuel von Seidl und andere feierten Feste und das Leben auf Gut Oberhof.
Zwar hinterließ der Abbruch des Wohnhauses in den 1960-iger Jahren eine große Wunde, die wichtigsten Protagonisten des Gesamtkunstwerkes (voralpine Naturkulisse und Parkanlage) waren erhalten geblieben.
Heute fügt sich das einfühlsam rekonstruierte Haus wieder in sein Ensemble ein und kündet von Lebensqualität, Nähe zur Natur, Handwerkskunst, Anknüpfung an historische Tradition und in Form manifestiertem Gedankengut der Jahrhunderwende.
Katharina Drexler, Architekturhistorikerin, Juni 2023



